In einer Welt, die sich rasant verändert, braucht auch unser Verständnis von Hochschulbildung und Qualifizierung einen tiefgreifenden Wandel. Es reicht nicht mehr aus, Studierende lediglich auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Die Anforderungen der Zukunft verlangen mehr: aktive gesellschaftliche Mitgestaltung, lebenslange Selbstwirksamkeit, ethisches Verantwortungsbewusstsein und die Fähigkeit, transformative Prozesse mitzugestalten. Es ist an der Zeit, Employability neu zu denken – und Societal Agency als neue Leitperspektive für die Entwicklung von Future Skills zu etablieren.
"Agency" beschreibt die grundlegende Fähigkeit von Individuen, selbstbestimmt zu handeln, Entscheidungen zu treffen und aktiv Veränderungen herbeizuführen. "Societal Agency" erweitert diesen Ansatz in eine gesellschaftliche Dimension: Sie bezeichnet die Befähigung und Bereitschaft, nicht nur für die eigene Erwerbsfähigkeit, sondern für die aktive Mitgestaltung gesellschaftlicher Entwicklungen, sozialer Systeme und technologischer Innovationen einzustehen. Societal Agency bedeutet: Ich kann, ich darf und ich will die Gesellschaft, in der ich lebe, mitgestalten – beruflich, sozial, kulturell und politisch.
Eine erste Definition:
Societal Agency ist die Fähigkeit und Bereitschaft von Individuen, eigenverantwortlich, selbstorganisiert und gemeinschaftsorientiert in offenen, komplexen und dynamischen gesellschaftlichen Kontexten handlungsfähig zu sein und aktiv gesellschaftliche Entwicklungen mitzugestalten.
Das ursprüngliche Konzept der Employability ist von einer klaren ökonomischen Verwertungslogik geprägt: Hochschulbildung dient in diesem Verständnis primär dazu, Studierende für bestehende Arbeitsmärkte fit zu machen. In den 2000er Jahren begannen sich diese Modelle weiterzuentwickeln – mit Fokus auf Schlüsselqualifikationen, Soft Skills und die Idee des lebenslangen Lernens bzw. lebenslange Beschäftigungsfähigkeit (vgl. Rigby et al., 2009; Osmani et al., 2015).
Mit Initiativen wie dem NextSkills-Projekt (2019) wurde ein noch umfassenderes Verständnis etabliert: Die Anregung dabei besteht darin, über bisherige Employability-Verständnisse hinaus auch weitere für Handlungsfähigkeit wichtige Kompetenzen/ Dimensionen wie Autonomie, Selbstorganisation, Selbstwert, Selbstwirksamkeit, Innovationsfähigkeit und Initiative mit hinzu zu nehmen – genau jene Fähigkeiten, die im Future Skills Modell von NextSkills verankert sind (www.nextskills.org).
Immer mehr wird deutlich, dass der Bezug zu aktiven Mitgestaltung von Gesellschaft eine grundlegende Dimension von future Skills Konzepten werden muss. Der Aspekt, Studierende nicht nur "fit for work", sondern vor allem "fit for society" zu machen ist zwar nicht neu, aber eben noch nicht überall expliziter und damit auch prüfungs- und zeugnisrelevanter Teil des Hochschulstudiums. In einer zunehmend komplexen Welt geht es nicht mehr nur um Anpassung an Arbeitsmärkte, sondern um aktive Mitgestaltung der Gesellschaft in weiteren gesellschaftlichen Hanldungsfeldern.
Societal Agency geht damit über klassische Vorstellungen von Employability hinaus. Sie verbindet individuelles Empowerment mit gesellschaftlicher Verantwortung und transformativer Gestaltungskraft.
Die alte Formel "Ausbildung = Beschäftigungsfähigkeit" greift zu kurz. Bildung muss heute "Transformation durch Mitgestaltung" ermöglichen. Hochschulbildung sollte die Fähigkeit zur Co-Creation – insbesondere im Umgang mit digitalen Technologien wie Künstlicher Intelligenz – und zur verantwortungsvollen Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse fördern.
Transformation als Leitprinzip der Hochschulbildung bedeutet, Bildungsprozesse nicht mehr nur als Anpassung an bestehende gesellschaftliche Bedingungen zu verstehen, sondern als aktive Mitgestaltung von Zukunft. Co-Creation wird hierbei zum zentralen Paradigma: Studierende sollen befähigt werden, in Kollaboration mit anderen – Menschen, Technologien, Institutionen – neue Lösungen zu entwickeln und gesellschaftlichen Wandel aktiv mitzugestalten.
Praktisch bedeutet dies:
Diese Orientierung an Co-Creation und Transformation entspricht genau dem, was Future Skills-Ansätze wie NextSkills fordern: die konsequente Förderung von Autonomie, Innovationsfähigkeit, ethischem Bewusstsein und gesellschaftlicher Handlungskompetenz.
Wenn Future Skills tatsächlich zum Herzstück der Hochschulbildung werden sollen, reicht es nicht aus, nur Lehrformate und Curricula anzupassen. Es bedarf auch eines grundlegenden Wandels der Assessment- und Prüfungssysteme. Hochschulen müssen neue Wege finden, um Future Skills transparent sichtbar zu machen, sie explizit zu bewerten und in den akademischen Abschlussprozess zu integrieren.
Dazu gehören:
Beispiele:
Hochschulen stehen damit vor der Herausforderung – und der großen Chance –, neue Formen der Leistungsfeststellung zu entwickeln, die den komplexen Anforderungen der Zukunft gerecht werden. Sie müssen Erfahrungen sammeln, Pilotprojekte wagen und aufzeigen, wie Future Skills messbar, sichtbar und anerkannt gemacht werden können.
Nur so wird Societal Agency als neues Leitkonzept für Future Skills nicht nur gedacht, sondern konkret gelebt und gestaltet.
Unser Vorschlag: Future Skills-Modelle müssen zukünftig Societal Agency ins Zentrum rücken. Statt Employability lediglich als individuelle Arbeitsmarktfähigkeit zu verstehen, schlagen wir ein erweitertes Verständnis vor:
Societal Agency erweitert damit das Paradigma von Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe. Es geht um Menschen, die sich selbst organisieren können - und zwar in Kooperation mit anderen – und die zugleich ihre soziale, technologische und ethische Verantwortung bewusst erkennen und wahrnehmen. Future Skills, wie wir sie im NextSkills-Ansatz entwickeln, schaffen die Grundlage dafür: Sie fördern Selbstwirksamkeit, Reflexionsfähigkeit, systemisches Denken und kooperative Innovationskraft.
Lassen Sie uns gemeinsam an einer Bildung arbeiten, die Studierende nicht nur befähigt, erfolgreich zu arbeiten, sondern Verantwortung für die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft zu übernehmen.
Mehr zu unseren Forschungsarbeiten und Initiativen auf www.nextskills.org
Leiter der Forschungsgruppe und Professur für Bildungsmanagement und Lebenslanges Lernen