Jeder Mensch braucht KI-Kompetenz – aber welche eigentlich?
Kritische Anmerkungen

von Ulf-Daniel Ehlers  |  02. Mai 2025

1. EU AI Act: Der Moment der Wahrheit ist da

Der 2. Februar 2025 markiert nicht weniger als einen Wendepunkt: An diesem Tag tritt der EU AI Act offiziell in Kraft – ein Meilenstein in der globalen KI-Regulierung. Im unscheinbaren Artikel 4 steht etwas Revolutionäres:

„Anbieter und Betreiber von KI-Systemen ergreifen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ihr Personal […] über ausreichende KI-Kompetenz verfügt.“

Was auf den ersten Blick wie ein weiteres juristisches Pflichtprogramm wirkt, hat weitreichende Konsequenzen: Jede*r, der mit KI arbeitet – und das sind wir alle – muss künftig qualifiziert sein.


2. Ein erster Schritt – aber nicht das Ziel

Die EU-Kommission hat – gemeinsam mit der OECD – erste konzeptionelle Grundlagen gelegt: Im Zentrum steht ein Literacy-Verständnis, das auf Informationskompetenz, Grundverständnis und technisches Wissen fokussiert. Gut so. Aber:

„Wer glaubt, dass man mit ein bisschen Prompt Engineering und ein paar Schulungsvideos KI-kompetent ist, der hat das Problem nicht verstanden.“

KI-Literacy ist wichtig – aber sie ist nur der Anfang. Wenn wir die Gesellschaft wirklich befähigen wollen, die von KI geprägte Welt aktiv zu gestalten, brauchen wir mehr: Future Skills.

Die EU-Kommission hat – gemeinsam mit der OECD – wichtige Grundlagen gelegt: Im April 2025 wurde ein neuer AI Literacy Framework vorgestellt, der Schüler:innen im Primar- und Sekundarbereich gezielt auf ein Leben mit KI vorbereiten soll. Die Initiative ist Teil einer größeren Strategie, KI in den Bildungsalltag zu integrieren – nicht nur technisch, sondern auch kritisch und ethisch. Der Rahmen:

  • integriert KI-Literacy fächerübergreifend,
  • betont kritisches Denken, Kreativität und ethische Reflexion,
  • wird sogar Grundlage einer neuen PISA-Erhebung zur KI-Kompetenz.

Ein großer Schritt? Ja – aber natürlich nur ein erster Anfang. Mehr zur interessanten Initiative hier: https://oecdedutoday.com/new-ai-literacy-framework-to-equip-youth-in-an-age-of-ai/


3. Warum Future Skills?

Future Skills sind die Fähigkeiten, in hochdynamischen, unsicheren und technologiegetriebenen Kontexten selbstbestimmt, kreativ und verantwortungsvoll zu handeln. Sie sind:

  • nicht auf Berufe beschränkt, sondern betreffen uns alle – in Arbeit, Alltag, Demokratie und Privatleben,
  • nicht rein technisch, sondern immer auch sozial, ethisch, kreativ,
  • und sie sind nicht „vermittelbar“ im klassischen Sinn, sondern müssen als Dispositionen zum Handeln entwickelt werden.

Wir definieren Future Skills – basierend auf der Forschung zu AIComp – als:

„Die Fähigkeit, in hochgradig emergenten Situationen erfolgreich und verantwortungsbewusst zu handeln – mit Wissen, Können und Haltung.“

Die OECD/ EU Initiative kündigt an, dass das Framework beitragen möchte zu "The goal is to enable all students and teachers to understand, evaluate and use AI tools and systems effectively and ethically, while cultivating a well-rounded set of skills and attitudes. Students will be prepared not only for academic success but also for active, well-informed participation in an AI-driven, digitally evolving society." Das klingt gut und ganzheitlich. Trotzdem: So begrüßenswert die Initiative von OECD und EU-Kommission ist: AI Literacy, wie sie bisher vielfach verstanden wird, bleibt zu oft auf dem Niveau von Grundwissen und funktionaler Medienbildung stehen. Wenn es (nur) um Bedienbarkeit, technisches Verständnis, informierte Nutzung geht – aber nicht um transformative Handlungskompetenz - ist das für die vor uns liegenden Herausforderungen nicht genug.

Was fehlt, ist ein ganzheitlicher Bildungsansatz, der über das „Wissen über und Bedienung von KI“ hinausgeht und sich fragt:

  • Wie kann ich KI kreativ gestalten?
  • Wie kann ich Systeme kritisch hinterfragen – und im Zweifel ablehnen?
  • Wie werde ich in einer KI-Welt nicht zum Objekt, sondern bleibe Subjekt?

Genau hier setzen Future Skills an. Und genau hier liefert AIComp die Antwort.


4. AIComp: Ein Kompetenzmodell für das Zeitalter der KI

Im Projekt AIComp – Future Skills for Living Environments Shaped by Artificial Intelligence haben wir ein wissenschaftlich fundiertes Kompetenzmodell entwickelt, das KI-Kompetenz als Future Skill begreift. Es basiert auf zwei Forschungssträngen:

 AIComp I – Meta-Studie:

Analyse von über 150 Kompetenzformulierungen in bestehenden Frameworks weltweit, strukturiert nach Wissen – Fähigkeiten – Haltung (K-S-A).

 AIComp II – Empirische Validierung:

Qualitative Interviews und quantitative Studien mit Akteur:innen aus Bildung, Arbeit und Gesellschaft, um reale Anforderungen und Zielbilder zu identifizieren.

Das Ergebnis: ein mehrdimensionales Modell, das über reines Bedienwissen hinausgeht und Kompetenzen wie:

  • kritisches Denken über algorithmische Systeme,
  • kreative Kollaboration mit KI,
  • ethische Bewertung und soziale Verantwortung

ebenso abbildet wie technische Grundlagen.

Mehr dazu im KI Future Skills Portal: www.ai-comp.org


5. Literacy ist zu wenig – Handlungskompetenz ist das Ziel

Wir stehen an einem Scheideweg: Bleiben wir beim niedrigschwelligen „Hauptsache, man kennt es und kann es bedienen“-Ansatz – oder wagen wir den nächsten Schritt zu einem transformativen Bildungsverständnis?

AI Literacy – etwa wie sie im CBM-AIL Modell (Wienrich, Carolus) vorgeschlagen wird – fokussiert zu stark auf Wissen und Grundverständnis. Das ist ein guter Anfang, aber wir brauchen den ganzen Menschen: kognitiv, emotional, ethisch, kreativ.

Denn: KI verändert nicht nur Tools. Sie verändert Machtverhältnisse, Denkweisen und unser Selbstverständnis. Das verlangt nach mehr als „Lesen und Schreiben von Algorithmen“. Das verlangt nach einer Bildung, die zukunftsfähige Handlungsfähigkeit entwickelt – Future Skills eben.


6. Wie sieht das in der Praxis aus? – Drei Szenen aus dem Alltag

Im Studium

Ein Pädagogik-Studierender entwickelt ein Bewertungssystem mit KI. Er erkennt, dass das Modell rassistische Verzerrungen reproduzieren kann – und setzt sich kritisch mit den Trainingsdaten auseinander. → KI-Kompetenz heißt hier: ethisches Denken, Datenbewertung, Reflexionsfähigkeit.

Im Unternehmen

Eine HR-Managerin nutzt ein KI-System zur Talentdiagnostik. Sie versteht die Logiken des Modells, kommuniziert sie verständlich – und korrigiert den Einsatz, als Gender-Bias sichtbar wird. → KI-Kompetenz bedeutet hier: systemische Reflexion und kommunikative Vermittlung.

In der Berufsschule

Ein Azubi versteht, wie eine Produktions-KI funktioniert – aber auch, wie sie versagen kann. Er meldet fehlerhafte Prozesse, statt sich blind auf das System zu verlassen. → Future Skill: Verantwortung übernehmen, Technik kritisch begleiten.


7. Zeit für ein Bildungsprojekt – Zeit für AIComp

Der EU AI Act ist ein Aufbruchssignal. Doch damit daraus eine Bildungsbewegung wird, braucht es mehr:

  • Verbindliche Kompetenzrahmen
  • Lehr-Lern-Konzepte, die Haltung & Handlung fördern
  • eine öffentliche Debatte über die Bildung in der KI-Zeit

Das Bildungsprojekt AIComp liefert eine wichtige Grundlage dafür. Und es ist offen für Mitstreiter:innen – aus Bildung, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Informieren. Mitdenken. Mitgestalten. www.ai-comp.org


Fazit: KI-Kompetenz ist keine Zusatzoption. Sie ist die neue Allgemeinbildung

Aber: Nicht als „how to use ChatGPT“, sondern als Fähigkeit zur verantwortungsvollen Weltgestaltung. Future Skills sind der Schlüssel dazu – AIComp ist die Karte.

Prof. Dr. Ulf-Daniel
Ehlers

Leiter der Forschungsgruppe und Professur für Bildungsmanagement und Lebenslanges Lernen

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